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echo ' Uhr'?>Yannick-Maria Reimers ist Kulturwissenschaftler*in und setzt sich für Diversity ein. Der Vielfalt- und Gender-Coach veröffentlichte das Buch „Das Geheimnis hinter dem Regenbogen“ sowie den Film „Farben unserer Seele“. KUKKSI-Reporter Oliver Stangl hat Yannick-Maria Reimers zum exklusiven Interview über Diversity getroffen.
Wie wichtig ist Diversity?
Diversity oder Vielfalt geht uns alle an, denn sie ist der Schlüssel zu einer Welt, in dem sich ALLE wohl fühlen. Erinnerst du dich an eine Situation, wo dir gesagt wurde, dass du komisch bist oder das man etwas so ja nicht machen würde? Manchmal braucht es gar keine Worte und du merkst, dass irgendwie etwas nicht gewollt ist. Andere nehmen Abstand oder schauen komisch. Am Ende geht es darum, dass wir uns akzeptieren und bei welchem Thema auch immer einander glücklich werden lassen.
Vor Kurzem erst wurde der trans*-Mann Malte beim CSD in Münster getötet: Er hat zwei Frauen verteidigt, die queerfeindlich beschimpft wurden. Malte ging dazwischen, wurde vom Täter niedergeschlagen und verstarb eine Woche später an seinen Verletzungen. „Schwuchtel“ gehört zu den häufigsten Beleidigungen auf den Schulhöfen und „schwul“ wird gerne benutzt, um etwas als komisch abzuwerten. Viele wissen noch nicht einmal, was das Wort überhaupt bedeutet. Schwarze Menschen oder Personen mit ausländisch klingenden Namen erhalten viel weniger Einladungen zu Bewerbungsgesprächen und so müssen sie sich mehr anstrengen oder geraten schneller in Armut oder Situationen, wo sie ausgebeutet werden.
Stelle dir bitte nochmal den Moment vor, als dir gezeigt wurde, dass du nicht ok bist oder man etwas so ja nicht macht. Wie hast du dich da gefühlt? Wenn du dich da mal so richtig krass einfühlst, bekommst du eine Ahnung wie es für Menschen ist, die so etwas oft erleben. Gerade, wenn man ständig diesem Stress ausgesetzt ist, macht das was mit einen. Du bist dann vielleicht vorsichtiger beim Kennenlernen von Menschen oder öffnest dich langsamer. Denn du musst ja erstmal schauen, ob der andere Mensch dich akzeptiert. Sich anzufreunden wird da komplizierter. Der dauernde Stress sorgt auch für Konzentrationsschwierigkeiten. Ist ja klar: Wenn du ständig daran denken musst, ob du gleich wieder eine schlechte Erfahrung machst oder dir die ganze Zeit Gedanken machst, wie das verhindert werden kann. Dann ist Aufpassen und Lernen kaum möglich. Das ist sogar erforscht: 3 mal weniger Antworten finden Menschen unter Stress. Wenn du dann an die sowieso schon schwierige Jobsuche denkst und dann dadurch noch schlechte Noten oder Abschlüsse dazukommen, sieht es nicht grade toll aus, oder?
Deswegen ist es so unglaublich wichtig, überall Diversity und Vielfalt zum Thema zu machen. Das ermöglicht Menschen sich wohl zu fühlen und sich ein gutes Leben aufbauen zu können. Es ist total wichtig da zuzugeben, dass man in der Schule oder wo auch immer da nicht so viel Erfahrung hat und Personen dazuhält, die da wirklich professionell arbeiten. Diversity und Vielfalt vermittelt man auch nicht mal so in einer Stunde oder Projektwoche (auch wenn das schon besser als nichts ist). Es geht darum, überall Diversity zu leben und zwar als innere Haltung. Die Platin-Regel ist da eine gute Orientierung, die man immer wieder üben sollte: Behandle andere Menschen so, wie sie gerne behandelt werden möchten. Es hilft auch ein Gefühl der Verbundenheit aufzubauen. Dafür habe ich eine Geschichte geschrieben und bei einer Mahnwache in Gedenken an Malte vorgetragen.
Welche Rolle spielt Diversity heute generell im Alltag?
Ein paar Beispiele dazu gab ich ja schon, aber um es nochmal ganz konkret zu machen: Wenn du aus der Haustür gehst und dich Menschen aus der Nachbarschaft grüßen oder ignorieren. Wenn du in Bus oder Bahn einsteigst und dich dort sicher fühlst oder Angst hast, dass dir etwas passieren könnte. Ob du dich zu einer Veranstaltung oder einem Projekt anmeldest oder es lässt, weil du nicht weißt, wie die Menschen dort mit dir umgehen. Wie du dich anziehst oder schminkst, weil du nicht böse Blicke bekommen willst. Wenn du heute einfach so rausgehst wie du dich wohl fühlst oder dich fragst, ob du dadurch auffällst und ob du es heute psychisch verkraftest, deswegen einen blöden Spruch zu bekommen. Ob du etwas knappes trägst oder etwas, dass dich verdeckt. Ob du dich im Spiegel sehen magst oder Selbsthass entwickelst. Ob du Schicksalsschläge gut verarbeiten kannst oder durch die Dauerbelastung zuvor zerbrichst. Ob du die Kraft hast, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder dazu mehr Unterstützung brauchst. Ob du zur Klassenfahrt mitkommen kannst oder darauf verzichten musst, weil in dem Land queere Menschen hingerichtet werden. Ob du deine große Liebe zum Abschlussball oder zu einer Feier mitbringst oder es aus Angst vor Diskriminierung lässt. Ob du über deine Liebe überhaupt sprechen kannst oder nicht. Das sind so grundsätzlich wichtige Dinge im Alltag. Ich könnte so ewig weiter machen…
Wie setzt du dich dafür ein?
Seit rund 10 Jahren mache ich Aufklärungsarbeit und gehe in Schulen und andere Institutionen. Dort rede ich mit Menschen über ihre Erfahrungen, begleite Projekte die Miteinander fördern, bilde Lehrkräfte in Diversity weiter und berate wie strukturell Diversity in Schule, Vereinen oder Unternehmen gelebt werden kann. Daneben entwickle ich eigene Produkte. Zum Beispiel habe ich ein Bilderbuch und einen Kinofilm zu den Themen gemacht. Mir ist es wichtig, dass Vielfalt nicht trocken ist oder Menschen Angst haben, etwas falsch zu machen. Vielfalt darf auch Spaß machen und berühren. So entsteht Verbundenheit und eine gute Gemeinschaft.
Worum geht es in deinem Buch und Film?
Im Bilderbuch „Das Geheimnis hinter dem Regenbogen“ geht es um Selbstfindung und Selbstliebe. Die Hauptfigur Maxie sucht sich selbst und versucht erst anderen zu gefallen. Im Land hinter dem Regenbogen leben die Facetten: Fantasie-Geschöpfe, die mit Farben ihre Identität malen und Menschentypen nachempfunden sind. Du kennst sicher auch welche davon: Die arroganten Angeber*innen, die sanften Menschen, die harten Gangster, fiese, geizige Personen, oder auch die klugen und wohlwollenden Wesen. Mit dem Buch kannst du besser verstehen, warum du so bist wie du bist. Du kannst verschiedene Teile deiner Persönlichkeit hinterfragen und es gibt viele Infos zu Regenbogenthemen. Beispielsweise was trans*, schwul, lesbisch, bi und vieles mehr eigentlich bedeutet. Das Buch ist zwar ab 6 Jahre, aber ich höre immer wieder von Jugendlichen und Erwachsenen, dass es ein Buch für alle ist und sie viel über sich und andere gelernt haben. Es wird auch gerne im Unterricht benutzt, um sich mit Vielfalt, sich selbst und dem Miteinander zu beschäftigen.
Mein Film „Farben unserer Seele“ dreht sich um viele verschiedene Bereiche der Vielfalt. Was passiert bei Diskriminierung und Hass? Was kann dagegen getan werden? Wie trägt Vielfalt zu einem guten Leben bei? Was für unterschiedliche Erfahrungen werden gemacht? Und wie kann Kunst und Wissenschaft uns wieder zu einem Miteinander bringen? Menschen, die Gewalt erfahren haben, kommen zu Wort und Menschen, die ihren Weg gegangen sind, von denen man viel für den eigenen Weg lernen kann. Mein Ziel mit dem Film war und ist es Wunden in Wunder zu verwandeln. Wir sollten unsere Unterschiede anerkennen und feiern! Im Film kommen Stimmen aus der jüdischen, Schwarzen und queeren Community sowie Menschen mit Behinderung und Fluchthintergrund zu Wort. Und jedes mal, wenn du, deine Klasse oder wer anders diesen Film ansieht, kommen wir einander etwas näher. Das ist meine große Hoffnung. Ich freue mich immer total, wenn mir Menschen schreiben, dass ihnen der Film oder das Buch sehr geholfen hat. Seit kurzem ist der Film nun auch für alle streambar und auf Amazon Prime veröffentlicht. Die ersten Rezensionen zeigen schon, was der Film mit Menschen macht und mich treibt das immer an, weiter zu machen.
Was kann man gegen Mobbing tun?
Mobbing und Diskriminierung sind immer wieder und überall ein großes Thema. Oft wird Betroffenen gesagt, dass sie es nicht ernst nehmen sollen oder ihnen werden Tipps zum Umgang gegeben. Tipps zu geben kann helfen, aber zu sagen, dass man es einfach nicht ernst nehmen soll ist übergriffig. Man sagt doch nicht anderen, wie sie sich zu fühlen haben. Das macht die Situation oft nur schlimmer. Außerdem ist es wichtig, strukturell gegen Mobbing und Diskriminierung vorzugehen. Die Probleme an der Wurzel zu packen und Menschen, die sich auskennen, einzuladen. Es ist wichtig, die Betroffenen nicht alleine zu lassen und ihnen Arbeit abzunehmen. Viel zu oft kümmern sich Menschen, die selbst in schwierigen Situationen sind, um die Lösung der Probleme. Dabei haben Menschen, die nicht betroffen sind oft viel mehr Kraft und Kapazitäten. Hier ist das Bewusstsein für diese Themen entscheidend, damit auch nicht Betroffene sich engagieren.
Wenn du selbst betroffen bist, gibt es ein paar Strategien:
- Stärke zeigen und mit jemanden sprechen hilft, denn dann begibst du dich nicht in die Opferrolle und es fällt anderen schwerer, dich anzugreifen. Mit anderen zu sprechen gibt Kraft und du fühlst dich verstanden.
- Den Teufelskreis brechen: Wenn dich jemand angreift, sagt das mehr über die andere Person als über dich. Diese Menschen haben oft ein geringes Selbstwertgefühl und müssen andere niedermachen, um sich selbst besser zu fühlen. Wenn dir jemand sagt, dass er irgendetwas an dir nicht mag, könntest du antworten: „Danke für den Hinweis. Ich mag das an mir. Finde das an dir übrigens auch ganz schön.“ Damit nimmst du der Person den Wind aus den Segeln. Der Person wird es schwer fallen, dich damit weiter zu ärgern und sich dabei auch immer schlechter fühlen, weil du der Person ja noch was nettes gesagt hast. Der Teufelskreis der gegenseitigen Abwertung kann so nach und nach gebrochen werden, denn wer auf den Machtkampf reinfällt und mitmacht, zieht nur immer mehr Gewalt in die Situation rein.
- Du kannst auch Mobbing-Tagebuch führen und dort alles dokumentieren. Am besten mit Fotos und Zeugen. Dann kann der Mensch besser mit den eigenen Taten konfrontiert werden – am besten im Gespräch mit Lehrer*innen oder anderen Autoritätspersonen.
- So schwer es manchmal auch fällt, ist es wichtig, ruhig und sachlich zu bleiben und sich nicht komplett zurückzunehmen, denn das gibt Täter*innen keinen Grund zum aufhören. Den brauchen sie aber, damit die Spirale nicht immer weiter geht.
- Professionelle Hilfe ist sehr wichtig, wenn alles andere nicht hilft. Solche Situationen sind kräftezerrend und die große Belastung kann zu Burnout oder Depressionen führen. Auf Instagram und Facebook poste ich immer wieder Problemlösungen und Hinweise, wie ein gutes Miteinander funktionieren kann. Außerdem kann man mir dort schreiben und ich versuche immer wieder, Probleme die an mich getragen werden, in Lösungen zu verwandeln und etwas dazu zu posten. Am effektivsten ist es Strukturen zu schaffen, in denen möglichst wenig Mobbing und Diskriminierung passiert. Dazu müssen Schulen und andere Organisationen nur den Willen haben und mir schreiben.
Warst du selbst schon betroffen von Mobbing?
Da habe ich schon viel erlebt. Ob nach dem Tod meiner Mama (ich war 8 Jahre alt) und dem starken zurückziehen, was mit Mobbing einherging. Frustessen und Mobbing wegen Übergewicht. Diskriminierung bei der Jobsuche: Wenn ich angab, nichtbinär zu sein, kam oft nicht mal eine Absage. Einmal probierte ich testweise aus als männlich aufzutreten und bekam dann sofort eine Einladung. Vorurteile wegen meiner Bi+sexualität, dass es ja nur eine Phase wäre oder ich nur nicht zugeben würde, nur Männer zu mögen. Innerhalb der Regenbogen-Community, weil ich zu feminin oder zu maskulin wäre, weil ich trans* aber nichtbinär bin. Weil ich mit kreativen Methoden arbeite und das ja keine richtige Arbeit wäre, so nach dem Motto etwas Kultur wäre ja keine Arbeit. Dabei braucht man da oft viel mehr Leidenschaft und Durchhaltevermögen. Innerhalb meiner Familie, weil ich sehr offen über meine Erfahrungen und Identität spreche. Weil ich polyamory bin und mich in mehrere Menschen verlieben kann. Weil ich trotz dem Queer-Sein eine religiöse oder spirituelle Ader habe. In Religionsgemeinschaften, weil ich queer bin. Queer heißt übrigens, dass du dich nicht in der gesellschaftlichen Norm einsortierst. Auch hier kann ich ewig weiter machen.
Aber ich habe dadurch auch sehr viel über mich und andere gelernt. Warum wir so funktionieren und ich habe Menschen kennengelernt, die total offen und frei sind und diese Freundschaften sind dann viel ehrlicher, fester und einfach nur schön! Das wünsche ich allen Menschen: Aus den Gewalterfahrungen zu lernen und Heiler*innen zu werden. Es gibt dieses berührende Zitat vom Dalai Lama: „Der Planet braucht keine ‚erfolgreichen Menschen‘ mehr. Der Planet braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Arten. Er braucht Menschen, die gut an in ihren Plätzen leben. Er braucht Menschen mit Zivilcourage, bereit, sich dafür einzusetzen, um die Welt lebenswert und menschlich zu gestalten. Diese Qualitäten haben wenig mit der Art von Erfolg zu tun, wie er in unserer Kultur verbreitet ist.“ Schon gelesen? LGBTQ+-ABC: Das sind die wichtigsten Begriffe